Über Märchen, Kaffeehäuser und soziale Medien ….

Inhalt teilen.

Es war einmal …… Märchen sind nie nur gut, gerade Märchen sind heute ob ihres pädagogischen Grundgehalts, aufgrund ihrer partiellen Grausamkeit, nicht unumstritten. Ich bin mit Märchen aufgewachsen, über schädliche Auswirkungen auf meine Persönlichkeitsstruktur mögen andere urteilen.
Wenn ich heute in sozialen Medien unterwegs bin, habe ich immer das Gefühl in einem Kaffeehaus zu sitzen, mich an einem öffentlichen Ort zu befinden, und automatisch verknüpft sich das entstehende Bild des Kaffeehauses mit meinen Erinnerungen an die Kaffeehäuser und Lokalitäten meiner Jugend. Und dann ist da plötzlich auch dieses Märchengefühl. Das Gefühl einer Art heilen Welt, obwohl sie nicht heil ist.
In meiner Jugend gab es das Stammlokal mit allen möglichen, immer wiederkehrenden Charakteren, von harmlos, unscheinbar, bewundert, bis zum ewig Stinkbesoffenen, dem man regelmäßig den Autoschlüssel abnehmen musste.
Es wurde geplaudert, Party gefeiert, sinniert, diskutiert.
Natürlich gab es auch Konflikte, eher persönlicher Natur, manchmal, in seltenen Fällen sogar bis zur Handgreiflichkeit. Irgendwie, warum auch immer, war klar, dass da etwas über das Normalmaß hinaus eskaliert ist, die Befriedung gelang zumeist, ansonsten ging man sich zukünftig aus dem Weg.
Die sozialen Medien sind gefühlsmäßig für mich nichts anderes als virtuelle Kaffeehäuser. Wenn ich grad nichts anderes zu tun hab, schau ich vorbei, tausch mich aus, steh auch mal still an der Bar, wie mir beliebt.
Nur stimmt das Gefüge heute nicht mehr. Also märchenkategorientechnisch betrachtet.
Von Beschimpfungen über zweizeilig pointierte Hasskommentare zum Thema, entgleist die Kommunikationskultur immer mehr. Oder im Gegenzug die absolut zustimmende kritiklose Abhandlung innerhalb einer “Blase”.
In mein Stammlokal transferiert, gäbe es Gruppen, die sich zu einem Thema aufschaukeln können, ohne, dass der Nebentisch mit bissigen Bemerkungen zum Ärgern aber möglicherweise auch zum Nachdenken anregt, und wenn beides nicht, dann zumindestens zur Bewahrung einer vernunftgesteuerten Art von Toleranz gegenüber einer andersgearteten Meinung im Hinblick auf eine wenig wünschenswerte handgreifliche Auseinandersetzung. Es gäbe Rabauken, die – alkoholisiert, oder nicht – ihrer Aggression freien Lauf lassen könnten, ohne funktionierenden Schutzmechanismus der Umgebung. Zu ihrem eigenen Schutz, oder den der anderen.
Daneben gibt es einen Tisch, der alle aktuellen Geschehnisse um sich herum ausblendet, und sich über Feng-Shui-kompatible Gartengestaltung austauscht, ungestört, unberührt, während erste emotionale Gläser fliegen.
Früher trafen sich Menschen in Lokalen.
Heute treffen sich Gleichgesinnte in Blasen.
Früher waren ein gewisses Maß an Meinungstoleranz und alle damit verbundenen Handlungsalternativen noch ein Bestandteil der sozialen Interaktion.
Heute muss man niemandem in die Augen sehen, wenn man seine Meinung kundtut, was immer mehr einem Frust ablassen gleichkommt.
Früher war Märchen. Gewohnt, etabliert, traditionell, sehr vertraut im Gut und Böse-Klischee.
Heute ist pädagogisch wertvoller, ausgezeichneter Avantgarde-Kurzfilm, und ein paar moralisch bedenkliche Statements sind aufgrund ergebnisloser Wertediskussion der Juroren unberücksichtigt geblieben …….

Inhalt teilen.